Karl Kraus (1874-1936) gilt mit einigem Recht als der bedeutendste Satiriker deutscher Sprache. Diese Feststellung wäre noch vor rund vierzig Jahren mit ungläubigem Staunen aufgenommen worden. Nach seinem Tod versank sein nicht unbeträchtlicher Ruhm in den Schlammfluten der »Dritten Walpurgisnacht«, wie er das »Dritte Reich« in seiner ganzen Scheusäligkeit nannte, dessen Charakter er, wie sein gleichnamiger großer Text zeigt, deutlich früher als die meisten anderen erkannte. Dieser Ruhm bedeutete vor allem sprachliche und geistige Wirkung, die so verschiedene Gestalten und Gestalter wie Arnold Schönberg und Oskar Kokoschka, Ludwig Wittgenstein, Alban Berg und Elias Canetti anregte und begeisterte. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat eine Wirkung seines Werkes eingesetzt, die in der Qualität, wenn auch nicht der Quantität vergleichbar ist mit der Neubewertung des von Kraus hoch geschätzten und ihm in mancher Hinsicht verwandten Gustav Mahler. Der Abend wird versuchen, einen Eindruck von seinem weit verzweigten Schaffen zu geben, das nicht ‚nur‘ aus den rund 27.000 Seiten der Zeitschrift Die Fackel besteht, die von Kraus seit 1899 bis in sein Todesjahr 1936 herausgegeben und seit 1912 ausschließlich von ihm selbst verfaßt wurde, sondern darüber hinaus auch aus seinem ebenso satirischen wie monumentalen Weltkriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit sowie aus Gedichten und Aphorismen. Jens Malte Fischer