Die Wirkungsgeschichte Henry Moores mutet schlichtweg beispiellos an. Was Deutschland anbetrifft, wurde er hier mit den meisten innovativen Themenausstellungen geehrt. Worauf gründete sich seine „einzigartige Beziehung zu diesem Land“, wie Anita Bennet (Henry Moore Foundation) formuliert? War hier etwa in ästhetikgeschichtlicher Hinsicht für seine organische Formgebung ein besonderer Boden bereitet?
Wie haben Künstler der Nachkriegszeit im Westen und im Osten – und dort zunächst erschwert durch die von Russland vorgegebene Formalismusdebatte – Moores Diktion aufgenommen und sich anverwandelt? Die doppelte Wirkungsgeschichte bietet einen spannenden Einblick in die gesamtdeutsche Skulpturszene der Nachkriegszeit. Letztlich bezeugt die im Westen und im Osten unterschiedlich gewichtete Verständigung mit dem Engländer, nämlich die biomorphe Abstraktion einerseits und der Anschluß an Moores widerständig-heroisches Menschenbild andererseits, einen großen Aspektreichtum, der Moores Lebensleistung in allen Facetten reflektiert. Der Vortrag stützt sich auf ein brisantes Kapitel aus Christa Lichtensterns jüngst erschienenem Standardwerk Henry Moore: Werk – Theorie – Wirkung, Berlin/London 2008.