Der Raum in der Kunst
Eine interdisziplinäre Reihe
In einer Studie über Andere Räume schrieb Michel Foucault 1967: »Die große Obsession des 19. Jahrhunderts war die Geschichte. [...] Unsere Zeit ließe sich dagegen eher als das Zeitalter des Raumes begreifen. Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und des Zerstreuten.« Damit hat er eine Entwicklung diagnostiziert, die sich in jüngster Zeit mit dem Spatial Turn, mit der Wendung von Wissenschaften und Kunst zum Raum als Kategorie von Erkenntnis und Gestaltung noch einmal intensiviert hat. Da die Rede vom »Raum« heute so selbstverständlich geworden ist, muß geradezu betont werden, daß der Begriff bis ins 18. Jahrhundert keine Rolle in den Theorien zu Kunst, Architektur, Musik oder Literatur spielte und erst Ende des 19. Jahrhunderts als Element der Gestaltung, Ordnung und Reflexion Bedeutung gewann.
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste lädt an sechs Abenden zu einer interdisziplinären Vortragsreihe ein, in der von international ausgewiesenen Spezialisten eine »Vermessung des Raums« durchgeführt werden soll – vom Klangraum der Musik und den poetischen Räumen der Literatur über den »leeren Raum« des Theaters und den Fiktionsraum des Films bis zum spezifischen Raum der bildenden Künste und dem Realraum der Architektur. Je mehr über Raum geredet wird, umso wichtiger ist es, diesen schillernden Leitbegriff besser zu verstehen. Winfried Nerdinger
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Ich hatte einmal ein Arbeitszimmer im Bauwerk eines Top-Architekten der Postmoderne. Außen war der Bau ein Statement, eine architektonische Extravaganza. Innen hatte ihn der Computer, wenn der schon im Einsatz war, oder ein Zeichenknecht entworfen, nein, hingeworfen. Ich dachte in meinem trostlosen Cubicle, daß Architekten vielleicht immer nur eines können: Kubatur oder Raum, Körper oder Interieur. Vielleicht gehe ich dieser Frage in meinem Vortrag nach, sehe aber auch, daß in Wissenschaftlerkreisen ein Belegbeispiel wenig zählt, und merke, daß ich mit einem zweistelligen Modell (Körper/Raum) nicht sehr weit komme, hat nicht Fritz Schumacher, der zwar nicht mein jetziges Büro entworfen, aber in meiner Nähe eine Menge gebaut hat, dekretiert, daß in Sachen Architektur drei Komponenten in ihrer Relation zu berücksichtigen sind: Außenraum, Körper, Innenraum. Auf jeden Fall muß ich ein paar Worte dazu sagen, ob und wie die Architektur von heute an dieser Bewegung, die sich Spatial Turn nennt, partizipiert. W. K.
Wolfgang Kemp lehrt Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Gastprofessuren u. a. Harvard, UCLA, Fellow Wissenschaftskolleg Berlin, Getty Research Center L. A. Veröffentlichungen u. a. zur Geschichte und Theorie der Fotografie, zur Rezeptionsästhetik und Erzählforschung. 2009 erschien sein Buch Architektur analysieren.