Friederike Mayröcker, 1924 in Wien geboren, ist eine der kreativsten und vielseitigsten Sprachkünstlerinnen der Gegenwart. Schreiben ist für sie zweifelsohne eine unaufhörliche und existenznotwendige Obsession, die sie schon in aller Frühe an den Schreibtisch treibt, um in einem komplizierten Netzwerk Bilder, Erinnerungen, Ahnungen, Einsichten, Lektürefetzen, Traum- und Gedankensplitter in ihren pneumatischen Sprachkosmos zu verwandeln. Man könnte ihre ungewöhnlich umfangreiche, aber in jeder Beziehung signifikante Produktion in ungefähr vier Phasen gliedern. Sie reichen von einer Nähe zum Expressionismus und Surrealismus zu dem Einfluß der experimentellen Dichtung von Eugen Gomringer, Helmut Heissenbüttel, dem Lebensgefährten Ernst Jandl und der Wiener Gruppe, und führen schließlich zu den Entdeckungen eines originellen und unkonventionellen Erzählens, mit denen sie von einem Höhepunkt zum anderen schreitet, während sie in der Lyrik eine eher gelöste, lockere Spontaneität entfaltet, die geradezu blitzartig Gedanken, Bilder und Gefühle verbindet. Was Friederike Mayröckers imposante Produktion jedoch jenseits aller feststellbaren Phasen auszeichnet, ist die magische Art und Weise, wie es ihr gelingt, ihre abgeschlossenen und veröffentlichten Werke, sei es nun Lyrik oder Prosa, immer wieder durch neue Sprach- und Schreibfindungen zu übertreffen. Walter Hinderer