Es war im letzten Sommer, als der Spiegel das Klagelied über die »Dagegen-Republik« anstimmte: »Es wird demonstriert, geklagt und abgestimmt, als sollten die Politiker entmachtet werden.« Besonders die Gegner von Stuttgart 21 wurden zum Synonym der »Wutbürger«, die bewahren wollen, »was sie haben und kennen, zu Lasten einer guten Zukunft des Landes.«
Das Fatale an dieser Sichtweise ist weniger das Ressentiment gegen einen neuen Typus von Demonstranten, den man als wohlhabend und egoistisch zu denunzieren trachtet. Das Fatale ist vielmehr, daß sie verkennt, wie weit demokratisches Mitbestimmen und Großplanung auseinanderdriften. Auch das erhöhte Bewußtsein für Umweltbelastung, Wachstumsgrenzen, Risiken und Stadtgestaltung haben in der Exekutive den alten Glauben an die überlegene Kompetenz der Experten und Eliten für den technologischen Fortschritt nicht wirklich erschüttert. In ihren Augen steht noch immer technischer Sachzwang gegen bornierten Laienwiderstand. Mancher träumt von autokratischer Durchgriffsgewalt: Könnte man die Zukunft doch so ungehindert planen wie in Shanghai! Noch kann das sich einmischende Bürgerengagement den Strukturmangel der von oben geplanten Großprojekte nicht aufheben: Stets hinkt der Protest hinterher, er kann im besten Fall verhindern. Die konstruktive Planungsinitiative bleibt das exklusive, die Intransparenz belohnende Vorrecht der Parteispitzen und Behörden. Hier müßte eine neue Planungspolitik ansetzen. Es gibt, das ist das Lernziel, keine demokratisch-neutrale Planung.
Andreas Zielcke, ursprünglich als Anwalt tätig, war bis 2008 Chef des Feuilletons und leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung; seither ist er weiterhin als Autor bei der Zeitung unter Vertrag.