Hat man mich erst einmal verbrannt, gehängt, / gevierteilt, auf das Rad geflochten, / was kommt dabei heraus? Ein toter Leib, dichtete Étienne Dolet (den man den ersten französischen Freidenker genannt hat), ehe er 1546 samt seinen Büchern tatsächlich verbrannt wurde. Schriftsteller, zumal Dichter, sind von Berufs wegen dem freien Denken verschrieben. Die weltlichen und geistlichen Machtzentren dieser Welt reagieren auf solche Unbotmäßigkeit seit jeher gern mit den bewährten Mitteln von Haft und Hinrichtung. Aber die Gegenstimmen lassen sich so nicht zum Schweigen bringen.
Einige davon, berühmte und wenig bekannte, von den alten Opfern der Könige und Ketzerverfolger bis zu den Insassen der Schandlager des 20. Jahrhunderts, sollen in dieser Lesung gehört werden. In extremis erwächst der Dichtung eine eigene Dringlichkeit – das gilt für die streitbaren Geister ebenso wie für die aus religiösen, und später rassischen, Grün den Verfolgten. Das Programm des Abends ist ein denkbar europäisches Potpourri aus 500 Jahren. Zur Überheblichkeit angesichts der anderswo gängigen Verfolgung von Autoren besteht kein Anlaß – aber zum Widerspruch. W. v. K.