Niemand wird behaupten wollen, daß ein Musical sinnvoll sei. (Siegfried Kracauer, Theorie des Films)
Wer gewohnt ist, in Filmen nach den Augenblicken der Wahrheit zu suchen, nach den Manifestationen von Fantasie zur Freiheit, Ausschau zu halten nach Dingen des Lebens, nach Wind, Wetter, Natur, nach den Zufällen, nach Systemen und Kalkulationen hergestellter Industrieprodukte, stößt beim Filmmusical auf grundsätzliche Schwierigkeiten; ähnliche Schwierigkeiten wie sie im Umgang mit Seifenblasen, Ufos und Elmsfeuer auftreten, also mit Phänomenen, die sich nicht so leicht dingfest machen lassen.
Denn Filmmusicals sind fabrikgefertigte Gegenwelten, in die zwar Muster unserer gewohnten Realität übernommen werden, aber dort unter neuen Gesetzen neues Leben und neue Wertigkeit erlangen. Musicals erzeugen keine Illusionen, sie sind Illusionen. Ein Mann kann in einem Musical eine Wand hoch laufen. Wenn ein Mann an einer Wand hoch läuft, so ist das eine sinnlose, erlogene, unmögliche Angelegenheit. Im Musicalfilm ist dergleichen eine notwendige, selbstverständliche Angelegenheit – denn das Filmmusical ist seinem Wesen nach unglaubwürdig.
Alf Brustellin, Das Singen im Regen – über die seltsame Wirklichkeit im amerikanischen Filmmusical.