Deutschland und die Deutschen sind seit mehr als einem halben Jahrhundert das große Lebensthema von Stefan Moses, der 1928 in Schlesien geboren, seit 1950 in München wohnt. Mit seinen fotografischen Bildgeschichten ist er zum Chronisten der Nachkriegsgesellschaft geworden. Heute gehören diese Arbeiten zu den gültigen Geschichtsdokumenten unserer Zeit.
Hermann Kesten schrieb bei seiner Rückkehr aus dem Exil: »Wir sind Mitautoren der Menschheit und verantwortlich für deren Leiden und Taten. Was wir nicht aufschreiben, hat umsonst gelebt, ist nicht gewesen.« Stefan Moses, der Fotograf: »Jeder hat seine Aufgabe. Meine ist: Menschen festzuhalten, bevor sie verloren gehen. Die Fotografie: Lebenslange Erinnerungsarbeit.«
Stefan Moses hat deutsche Emigranten fotografiert. Ausgestellt sind einhundert Porträts, ein kleiner Teil derer, die Deutschland verlassen mußten, um zu überleben. In Ländern, deren Sprache sie oft nicht wirklich verstanden, in denen sie nicht oder nur schwer arbeiten konnten, in denen sie ökonomisch, sozial, kulturell entwurzelt waren. Vielen von ihnen hat Deutschland es nicht leicht gemacht zurückzukehren. Weder das kapitalistische, noch das sozialistische. Wobei Rückkehr nicht nur die Entscheidung war, wieder mit denen zusammenzuleben, von denen die Verfolgung ausging oder die sie zumindest zuließen, sondern auch für die Zukunft, die man sich wünschte. So sind die Unterschiede im Denken und Handeln der Porträtierten groß, gemeinsam ist ihnen, daß sie eine Menschlichkeit vertreten, die größer ist als diese Differenzen. Diese Emigranten verkörpern eine Ästhetik des Widerstands, die für Leben, Denken, Kunst und Kultur nach 1945 das kritische Bewußtsein prägten, ja es überhaupt erst möglich machten. Stefan Moses hat sie seit 1949 mit vielen Empathien festgehalten.
Er stellt ihre Bilder dem Vergessen entgegen. Seine Porträts sind weit mehr als historische Zeugnisse: Sie zeigen Menschen, die ein gemeinsames Schicksal haben.
Die Flucht, soweit sie gelang, war die einzige Möglichkeit dem nationalsozialistischen Deutschland zu entkommen. So sind die Fotografien beides, Zeugnisse der Individualität und der Gemeinsamkeit des antifaschistischen Widerstands. Der Fotograf sieht den Menschen und er sieht ihn in seiner »Rolle« und er sieht ihn als Weiterlebenden: Ich war unheimlich neugierig auf das Kommende.
Stefan Moses hat eindrücklich davon gesprochen, daß eine Fotografie nicht nur einen Augenblick festhält, sondern einen Zustand. Damit wird jedes Bild zu einer komplexen Entscheidung und ist damit mehr als das Abbild einer Person:
Alle Bilder sind wahr – alle Bilder lügen. Man beobachtet und wird beobachtet und man braucht den Blick für das Nicht-Mehr und für das Noch-Nicht.
Der französische Philosoph und Kritiker Roland Barthes vergleicht die Wahrnehmung einer gelungenen Fotografie mit der einer Wunde: ich sehe, ich fühle, also bemerke ich, ich betrachte und ich denke. So wirken die Bilder, die Stefan Moses macht. Hans-Joachim Ruckhäberle
Veranstaltungen:
1. Abend: 28. Mai: Brigitte Hobmeier und Dieter Dorn lesen Texte von Fritz Kortner und Therese Giehse
2. Abend: 11. Juni
3. Abend: 18. Juni
4. Abend: 25. Juni