Was ist noch schön an den Künsten?
Eine Vortragsreihe mit Gottfried Boehm, Karl-Heinz Bohrer, Hans Ulrich Gumbrecht, Peter von Matt, Christoph Menke, Wolfgang Rihm und Martin Seel.
Als das Häßliche in der modernen Kunst zum Prinzip wurde, mußte das Schöne einen Absolutheits-Anspruch erheben: Bis 1800 hatte es uneingeschränkt geherrscht, dann wurde es durch das »Erhabene« lädiert, bekam einen Riß in Gestalt des plötzlichen Schreckens. Einige Moderne behaupteten, schon im 19. Jahrhundert hätten die einschlägigen Kenner eine Theorie des Häßlichen befürwortet. Daß dem nicht so ist, wird in der Poetologie der Frühromantik Friedrich Schlegels und des Symbolisten Charles Baudelaire, den beiden zentralen Protagonisten der Moderne, evident: in einer inhaltlichen Wendung kehrten sie das Häßliche wieder in Schönheit um. Ebenso herausragende und widersprüchliche Repräsentanten der klassischen Moderne: der konservative Rainer Maria Rilke und der Avantgardist André Breton haben das Schöne in neuen Pathos Formeln aktualisiert, was im Werk großer Prosa-Autoren (Claude Simon) späterhin bestätigt wurde. Selbst die methodisch »häßlichen« Ausdrucksgesten von Concept-Art oder Brill-Art werden interessant, wenn ihre Radikalität im Banalen oder Absehbaren durch Intensität, d. h. Formausdruck, überboten wird. Das ist ein Gesetz der Dialektik vom Häßlichen und Schönen seit Marcel Duchamps »Urinoir«. K. H. B.
Karl Heinz Bohrer, 1932 in Köln geboren, ist Professor emeritus für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Bielefeld und seit 2003 Visiting Professor an der Standford University. Von 1984 bis 2012 war er Herausgeber des Merkur. Er lebt in London. Zuletzt erschienen von ihm Selbstdenker und Systemdenker. Über agonales Denken, 2011, und Granatsplitter. Eine Erzählung, 2012.