Der Romanist Erich Auerbach (1892–1957) zählt zu den bedeutenden Geisteswissenschaftlern im 20. Jahrhundert, denn seine Prosa besitzt schriftstellerische Klasse, die den Vergleich mit seinem Vorbild Thomas Mann nicht zu scheuen braucht. Interdisziplinäre Forschungen auf den Gebieten der Literaturwissenschaft und Kulturphilosophie haben sich in seinem Hauptwerk Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur niedergeschlagen, das er zwischen 1942 und 1945 im Istanbuler Exil geschrieben hat. Auerbach untersucht darin die stilistischen und auf einzelphänomenologischen Beobachtungen beruhenden Übergänge und Brüche antiker, christlicher und moderner Schreib- und Denkweisen, wie sie im Alten Testament, dem homerischen Epos, in Dantes Göttlicher Komödie, Shakespeares und Schillers Dramen oder den großen realistischen französischen Romanen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert zur Geltung kommen. Parallel zum kulturwissenschaftlichen Werk ist Auerbach als großer Epistolograph in Erscheinung getreten. Entlang seiner biographischen Stationen in der Türkei und in den USA werden vier Briefe an seine Korrespondenzpartner, den Kulturphilosophen Walter Benjamin, den Münchener Romanisten Karl Vossler, den Mimesis-Verleger Carl Emil Lang und den klassischen Philologen und Wirtschaftshistoriker Alexander von Rüstow, vorgestellt und hinsichtlich ihrer modernekritischen und zeithistorischen Implikationen erläutert.
Martin Vialon, geb. 1960, germanistische Promotion in Marburg (1998), lehrte als Dozent an der Yeditepe University in Istanbul, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und habilitierte sich im Fach Philosophie (2011) in Oldenburg. Nach der Berufung nach Istanbul, für die Fächer Komparatistik und Kulturphilosophie, war Vialon Karl Jaspers-Fellow in Oldenburg und kehrte im Anschluß an die Gezi-Park-Revolte vorerst – nach 13 Jahren Lehrtätigkeit in der Türkei – nach Deutschland zurück. Heute lehrt er im Institut für Philosophie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und leitet das Erich Auerbach-Archiv.