Der Komponist, Theatermacher und Theaterwissenschaftler Heiner Goebbels diskutiert an Hand von Ton- und Videobeispielen eigener Kompositionen und Inszenierungen seinen Begriff von »Ästhetik der Abwesenheit«, in dessen Zentrum vor allem die Wahrnehmung des Zuhörers und Zuschauers steht.
Seine Produktionen Schwarz auf Weiß, Eraritjaritjaka, Stifters Dinge zählen zu den innovativsten und einflußreichsten Musiktheaterarbeiten der letzten zwanzig Jahre. Auch als künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale – International Festival of the Arts 2012–2014 – hat er sich musikalisch und performativ einem dezidiert zeitgenössischen Programm verschrieben und dabei das kreative Potential von wichtigen Musiktheaterwerken des 20. Jahrhunderts ausgelotet, die kaum Chancen im Repertoire des Opernbetriebs haben: so waren es – neben den Opern von Lachenmann, Orff und Feldman – vor allem die selten gespielten Musiktheaterwerke Europeras 1&2 von John Cage, Delusion of the Fury von Harry Partch und De Materie von Louis Andriessen. Auch davon wird die Rede und werden Filmbeispiele zu sehen sein.
»Als ich Mitte der 1970er Jahre – angeregt von Eislers kompositorischem Prinzip ,Fortschritt und Zurücknahme' – versucht habe, die Musik in die politische Bewegung der unorganisierten Linken einzubeziehen, ging es mir nicht darum, mit Musik Politik zu machen, sondern die Musik zu politisieren, und zwar nicht im Sendesaal des Rundfunks, sondern im politischen Spannungsfeld der Kräfte, die damals aktiv waren, also auf der Straße, in Versammlungen, Konzerten, Kampagnen, Jugendzentren etc., das heißt, ich habe versucht, beide Felder der Politisierung: das musikalische Material wie den gesellschaftlichen Kontext ins Auge zu fassen, nach Maßgabe der Eislerschen Dialektik: beim Bekannten zu beginnen, um Neues zu versuchen ...«
»Dies alles wird von der akademischen Avantgarde so schnell nicht eingeholt werden können, weil ganz andere Faktoren ihre Entstehung möglich machten: zum Beispiel nicht nur individueller Erfindungsreichtum eines einzelnen Komponisten, sondern ein ganzer Pool von Musikern, die sich gegenseitig beeinflussen, anregen, anstacheln ...«
Streichquartette für Greenpeace und Rockkonzerte für Afrika hält Heiner Goebbels nicht mehr für politische Musik auf der Höhe der Zeit. Für ihn ist die Zeit der Personalstile vorbei und Eklektizismus müsse kein Schimpfwort mehr sein, wenn ein hinterfragendes, mit Diskretion, Geschmack und historischem Bewußtsein ausgestattetes Arbeiten unsere Wahrnehmungsweisen vorantreibt und Vergangenes, Vorhandenes, Vorgefundenes aufarbeitet, bis »die Kompositionen alle bisher entstandene Musik als Bestandteile einer Sprache beherrschen, mit der jetzt Neues und Genaues gesprochen werden kann.«
Aus Prince and the Revolution, Vortrag zum Symposium Revolution in der Musik, Kassel 1989, zitiert in Peter Michael Hamel, Politisches Komponieren, München 2007.