Die Frage nach der Zukunft des Theaters soll hier nicht primär von der Polemik um die Übernahme einzelner Theater durch vermeintlich »neue« Tendenzen und Strömungen (Münchner Kammerspiele und Berliner Volksbühne) bestimmt werden, sondern es soll nach dem Potential der Kunstform Theater gefragt werden. In der Diskussion sind Fragen nach Repräsentation, Darstellung oder Performance, Authentizität, Fiktion und Realität und immer wieder neu das Bühnenportal, der Rahmen, der Ausschnitt. Eine Tendenz ist offensichtlich: Die Bühne und ihre Mittel sind von der Peripherie in das Zentrum der Künste gerückt. Und zwar so sehr, daß sie als spezifische Möglichkeiten und Formen der Theaterbühne kaum mehr kenntlich sind. Die Künste sind insgesamt theatralisch geworden auf der Ebene der Produktion, der Vermittlung und der Rezeption. Das Theater schaut zu, wie es abgeschafft wird oder zumindest in Frage gestellt, bei gleichzeitiger Hochkonjunktur all seiner Mittel in den anderen Künsten: des Bühnenportals und damit des Ausschnittes, des Dramatischen, der Inszenierung, der Theatralität in Kunst und Leben, der Frage nach Repräsentation und Darstellung überhaupt. Die dem Theater eigene Zwischenstellung zwischen Kunst und Leben, das Dazwischen, ist zum Synonym für Kunst insgesamt geworden. Paradox ist, daß im Theater derzeit nicht entschieden die eigenen Mittel vertreten und weiterentwickelt werden, sondern diese bei den anderen neugierig-neidvoll beobachtet und von ihnen wieder (zurück)übernommen werden. H.-J. Ruckhäberle