Daß Karl Marx die Werke Honoré de Balzacs schätzte, ist wohlbekannt. Daß er einem anderen französischen Schriftsteller, nämlich Gustave Flaubert, viel näher war, ist hingegen weniger bekannt – was auch daran liegt, daß Marx nicht Flaubert und Flaubert nicht Marx gelesen hatte. Trotzdem: Beide verbindet ein scharfer Widerwille gegen bürgerliche Verhältnisse, beide hegen eine große Energie, die sich gegen das Verkehrte einer ganzen Weltordnung auflehnt, beide verlangt es nach wissenschaftlicher Kälte. Und beide gestatten sich, jäh von der Analyse ins leidenschaftliche Urteil überzugehen und von der strengen theoretischen Ableitung in die entfesselte Geschwätzigkeit. Ausgehend von solchen Gemeinsamkeiten, von Übergängen der Theorie in die Anschauung und wieder zurück, wird in diesem Vortrag über Karl Marx’ Stellung in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts nachgedacht werden – und darüber, wie sich diese Stellung von heute aus betrachtet ausnimmt.
Thomas Steinfeld, Germanist und Musikwissenschaftler, lebt als Feuilletonkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Venedig und unterrichtet als Titularprofessor am Kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Luzern. Thomas Steinfeld arbeitet zudem als Schriftsteller und Übersetzer. Seine letzten Veröffentlichungen: »Der Sprachverführer: Die deutsche Sprache: was sie ist, was sie kann« (2010), »Selma Lagerlöf« (2015), »Ich will, ich kann. Moderne und Selbstoptimierung« (2016) und »Herr der Gespenster. Die Gedanken des Karl Marx«. (2017)