Es mag ja schmerzlich sein, ist aber wahr: Die eigentliche Hochzeit von Faust und Helena hat Goethe nicht gedichtet. Wir kennen nur die mystische Geburt der schönsten Frau, dann folgt der »kühnste Aktschnitt, den je ein Dramatiker gesetzt hat, dreieinhalb Milliarden Jahre überbrückend« (Albrecht Schöne), und Helena erscheint auf eines deutschen Ritters Burg, lebendig und phantasmagorisch zugleich. Der Liebesakt viel später bleibt sprachlich keusch und unsichtbar, »Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher«, nur »vollstimmige Musik« erklingt. Aber was heißt hier »nur«? Keine Leerstelle der deutschen Literatur hat die kulturelle deutsche Phantasie so befeuert, und eben nicht nur literarisch, vielmehr auch philosophisch, archäologisch, psychoanalytisch, theosophisch und schließlich sogar geopolitisch, bis zur Eroberung von Hellas 1941 durch die Wehrmacht. Hellas war Helena und nun germanischer Besitz. Die glänzende Vorgeschichte zu diesem Einmarsch und der folgenden Besatzung fand in München statt, ausgerechnet in dieser Stadt, die Goethe überhaupt nur einmal je, und nur 12 Stunden lang besucht hat: 1786, unterwegs nach Rom. C. S.
Claudia Schmölders, promovierte 1973 über das europäische Stilideal der Simplizität. Nach langjähriger Verlags- und Herausgebertätigkeit kam sie 1991 als Fellow ins Berliner Wissenschaftskolleg; seit 1998 ist sie Privatdozentin für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Von ihren zahlreichen Veröffentlichungen erschien zuletzt »Hitlers Gesicht. Eine physiognomische Biographie« (2000). Sie ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2004 erhielt sie den Heinrich-Mann-Preis der Berliner Akademie der Künste.