Der Bühnenerschütterer Shakespeare erlangte frühen Ruhm nicht mit himmelstürmenden Dramen, sondern mit kunstvoll komponierter Lyrik: Er verfasste, bevor er in den Niederungen der Unterhaltungsjahrmarktsbudentheater zum Star wurde, zwei lange, gereimte Versepen, Venus und Adonis und Die Schändung der Lukretia, im modischen italienischen Stil. Sein Zielpublikum war die aristokratische Gesellschaft, die an dererlei feinziselierten Sprachkunststücken großen Gefallen fand. Es war Shakespeares Versuch, in der höfischen E-Kultur finanziell Fuß zu fassen: Beide Texte widmete er, wie man das als junger Möchtegern-Dichter so machte, einem Adligen, dem19jährigen, reichen Earl of Southampton, in der Hoffnung, in ihm einen Mäzen zu finden und so zu Geld zu kommen. Diese Gedichte ernteten höchstes Lob bei Shakespeares Zeitgenossen – und fielen bei den Nachfahren in völlige Vergessenheit. Schon 60 Jahre nach Shakespeares Tod las niemand mehr seine preziösen Verskunststücke; ihre Zeit und die Mode waren vorbei, und so blieben sie marginal bis auf den heutigen Tag: Kaum jemand kennt sie, und wer sie doch kennt, übergeht sie geflissentlich als nebensächliche Jugendsünden des großen Dramatikers. F. G.
Davon wird Shakespeare-Übersetzer Frank Günther erzählen und Venus und Adonis vorlesen, eine witzig-sarkastisch-unanständig-burlesk komische und hochdramatisch todtraurige Versgeschichte frei nach Ovid in 199 Strophen, die erstaunlicherweise in ironischer Verdrehung ein ewiges (?), heutiges (?), jedenfalls heute brandaktuelles Thema verhandeln: Nein heißt nein oder #MeToo♂.