Die Identifikation menschlicher Begehren anhand der als ihr sittlicher Rahmen institutionalisierten Geschlechterbinarität, ihrer seit dem 18. Jahrhundert alternativlos gemachten männlichen/weiblichen Formen, richtet sich nicht zuletzt gegen alle Erotisierungen, deren wechselnde Verkörperungen nicht ihre sittliche Stabilisierung als Reproduktionszusammenhang zum Ziel haben.
Dessen Überschreiten in der Hermaphroditisierung und Unterschreiten in der Androgynisierung wurde, aus Antike und Manierismus importiert, im 19. Jahrhundert zu einem wesentlich ästhetischen Motiv antimoderner künstlerischer Verfahren. Im Horizont der Chimärisierung des hermaphroditischen Lebens gerieten, wie Mechthild Fend zeigte, ambisexuelle Körper in Konflikt mit der Eigentumsnorm bürgerlicher Freiheit, da sie keine Arbeits-Formen annahmen, sondern zum ästhetischen Ausdruck verschwenderischer Sexualität wurden.
Deren entgrenzte Form(alism)en finden sich ebenso bei der Prager Surrealistin Toyen, wie in gegenwärtigeren künstlerischen Produktionen, etwa denen Jutta Koethers oder Sidsel Meineche Hansens. In den Worten Peter Gorsens geht es hier um eine »Sexualästhetik«, eine Genealogie unsittlicher Körper (in) der Kunst. K. S.
Kerstin Stakemeier (*1975) lebt in Berlin und arbeitet als Professorin für Kunsttheorie und -vermittlung an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Sie veröffentlichte u. a. Painting – The Implicit Horizon (2012, mit Avigail Moss) und Reproducing Autonomy (2016, mit Marina Vishmidt). 2017 erschien ihre Monographie Entgrenzter Formalismus.