Begrüßung: Winfried Nerdinger
Gedenken an die verstorbenen Mitglieder
Aufnahme der neugewählten Mitglieder
Verleihung des Kunststipendiums der Abteilung Bildende Kunst und Architektur
Dagmar Leupold
»Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen«
Einige Überlegungen zu gelehrten Gesellschaften im 21. Jahrhundert
Festvortrag
Zum Festvortrag von Dagmar Leupold:
Seit einem Dreivierteljahr leben wir unter Bedingungen einer Pandemie: Das Nachdenken über die Pathologien allzu geschlossener Räume ist ein kollektives geworden, Stoßlüften das Gebot der Stunde. Das Merkmal geschlossener Raum trifft auch auf Gelehrtengesellschaften zu, die Akademien. Die Geschichte des Begriffs Akademie ist interessant, Akademos war ein griechischer Heros, der, laut Plutarch, die von Theseus entführte Helena dadurch rettete, dass er ihren Brüdern, den Dioskuren, das Versteck verriet. Dadurch konnte er die angedrohte Zerstörung Athens abwenden und erhielt zum Dank von den Stadtvätern einen Hain vor den Toren der Stadt. Dort gründete Platon für seine Schüler den Philosophischen Garten, nach Akademos Akademie genannt. Der Garten lag im Freien, war folglich sowohl einsehbar als auch, eingehegt, der erste Schutzraum für freies Denken und Schöpfen.
Die heutigen Akademien haben Mauern, verwehren, anders als Platons Garten, öffentliche Einsicht und Kontrolle, schützen aber andererseits vor Manipulation und Einvernahme. Diese Ambivalenz ist konstitutiv und mit der Frage verbunden, wieviel Zugluft als Korrektiv möglich ist, ohne die Funktion des Schutzraums als Ort der freien Entfaltung zu gefährden. In Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften lässt der Autor seine Hauptfigur Ulrich folgende Überlegung anstellen: »Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selbst Schaden zu nehmen«. Anders gesagt: Wieviel Bewahrung tut gut, wieviel Erneuerung tut not? Mauern sollten dem Schutz dienen, nicht dem Mauern. D. L.