Jeder Mensch denkt. Nicht jeder Mensch aber singt. Dem Denker Immanuel Kant war das Singen sogar besonders verdächtig. In seiner Kritik der Urteilskraft von 1790, die den Abschluss seines philosophischen Systems markiert, ätzt er gegen den „Mangel an Urbanität“, der die Musik für die Zivilisation ungeeignet macht: Wie ein „parfümiertes Schnupftuch“ zwingt sich der Schall ja auch denjenigen auf, die nicht zur Gesellschaft der Hörenden zählen wollen und tut so deren Freiheit förmlich „Abbruch“ – wie wir wissen, litt der Philosoph selbst unter den Erbauungsgesängen, die aus dem benachbarten Gefängnis in seine Königsberger Studierstube drangen. Auch von Kants Zeitgenossen Georg Christoph Lichtenberg ist nicht bekannt, dass er gerne gesungen hat. Immerhin gibt der Physiker und Aphoristiker jedoch in seinen „Sudelbüchern“ darüber Auskunft, wie gut er – pfeifen konnte. Kant und Lichtenberg haben sich sehr geschätzt. Getroffen haben sie sich nie. Höchste Zeit also, sie einmal gemeinsam auf die Bühne zu bringen.
In diesem musikalisch-philosophischen Programm „Denken ist Singen“ erscheinen der alte Kant, der reflektierend, schreibend, verwerfend, unablässig an seinem „Opus postumum“ arbeitet, und der Lichtenberg der „Sudelbücher“ in einer Auswahl von Liedvertonungen für Mezzosopran solo des Komponisten und Philosophen Michael Bastian Weiß. Lassen sich die beiden menschlichen Tätigkeiten des Denkens und des Singens vereinen? Gleichsam in einer Art kleinen Theater des Geistes? M. B. W.
Programm:
Michael Bastian Weiß (*1974)
Sudelbuch für Mezzosopran solo op. 15
Liederzyklus auf Texte von Georg Christoph Lichtenberg
Immanuel Kant (1724–1804)
Texte aus dem Opus postumum (Hg. Arthur Buchenau/Gerhard Lehmann, Berlin/Leipzig: Walter de Gruyter 1936/38)
Christel Loetzsch, Mezzosopran
Lisa Wagner, Rezitation
Michael Bastian Weiß im Gespräch mit Sven Hanuschek
© Guido Werner,
Christel Loetzsch
Christel Loetzsch ist eine deutsche Mezzosopranistin. Sie sang an der San Francisco Opera, der Semperoper Dresden, am Brüsseler Opernhaus La Monnaie / De Munt, in der Arena di Verona, der Dresdner Philharmonie, der Philharmonie de Paris und debütierte 2022 beim Festival d’Aix-en-Provence als Giovane Dante in Pascal Dusapins „Il Viaggio, Dante“ unter der Leitung von Kent Nagano. Engagements für 2023/2024 umfassen ihre Mitwirkung bei der Neuproduktion von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ von Romeo Castellucci am Brüsseler Opernhaus als Floßhilde in „Das Rheingold“ und Roßweiße in „Die Walküre“ sowie die Titelpartie in der Oper „Julie“ von Philippe Boesmans unter der Leitung von Sylvain Cambreling mit den Symphonikern Hamburg beim Lausitz Festival 2023. Engagements vorheriger Spielzeiten waren „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg mit der Dresdner Philharmonie, die Floßhilde in „Das Rheingold“ und die Schwertleite in „Die Walküre“ unter der Leitung von Marek Janowski mit der Dresdner Philharmonie, die Schwertleite am Teatro di San Carlo in Neapel, der Trommler in der Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann mit dem Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Patrick Hahn, außerdem die Rolle der Amme in „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss an der Oper Frankfurt. 2019 sang Christel Loetzsch am Brüsseler Opernhaus die Rolle der Hexe in „Macbeth Underworld“, einer Uraufführung von Pascal Dusapin. 2020 sang sie die Penthesilea in der gleichnamigen Oper von Pascal Dusapin mit dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Ariane Matiakh in der Philharmonie de Paris. Christel Loetzsch studierte Gesang an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar, am Conservatorio di Musica Giuseppe Verdi in Milano und der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig.
© Jeanne Degraa,
Lisa Wagner
Lisa Wagner wurde 1979 in Kaiserslautern geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie ein Schauspielstudium an der Theaterakademie August Everding in München. Bereits Anfang des zweiten Jahres ihrer Ausbildung wurde sie als jüngstes Mitglied an das Bayerische Staatsschauspiel in München engagiert, zu dessen festem Ensemble sie bis 2011 gehörte. Lisa Wagner feierte 2006 in Ralf Westhoffs Speed-Dating-Komödie „Shoppen“ ihr Kinodebüt. Es folgte unter anderem der Tatort „Nie wieder frei sein“ aus München (Regie: Christian Zübert). 2013 war sie Teil des Ensembles in der Fernsehserie „Weissensee“ (Regie: Friedemann Fromm). Viel Aufmerksamkeit und Anerkennung erhielt Lisa Wagner 2017 für ihre eindringliche Darstellung von Beate Zschäpe in „Letzte Ausfahrt Gera“ (Regie: Raymond Ley). 2019 drehte sie für den Kinofilm „Das Glaszimmer“ (Regie: Christian Lerch) sowie für die BR/ORF-Produktion „Ein schönes Schlamassel“ in der Regie von Wolfgang Murnberger. 2012-2020 war sie außerdem einem großen Publikum als Titelfigur in der ZDF-Krimireihe „Kommissarin Heller“ bekannt. 2021 folgten die Kinoproduktion „Freibad“ (Regie: Doris Dörrie) sowie die Mini-Serie „Die Wespe“ (Regie: Hermine Huntgeburth, Sky Fernsehen). 2023 kehrte Lisa Wagner mit dem Stück „James Brown trug Lockenwickler“ von Yasmina Reza unter der Regie von Philipp Stölzl an das Bayerische Staatsschauspiel München zurück. In der RTL+ Serie „Neue Geschichten vom Pumuckl“ von Marcus H. Rosenmüller wird sie in Kürze zu sehen sein. Lisa Wagner erhielt unter anderem 2013 den Hessischen Fernsehpreis, 2016 den Grimme-Preis und 2017 die Goldene Kamera als Beste deutsche Schauspielerin. Seit 2017 ist sie ordentliches Mitglied der Abteilung Darstellenden Kunst der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
© Gustav Eckart,
Sven Hanuschek
Sven Hanuschek (*1964), Germanist und Publizist, unterrichtet Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 2004 ist er dort zudem Geschäftsführer des Departments für Germanistik. Bücher u. a. über Elias Canetti, Heinrich Heine, Uwe Johnson, Erich Kästner, Heinar Kipphardt, Laurel & Hardy, zuletzt Arno Schmidt. Biografie (2022, Hanser). Zahlreiche Editionen, u. a. von Werken Bernard von Brentanos (Theodor Chindler, 2014; Franziska Scheler, 2015, Schöffling), Erich Kästners (Der Gang vor die Hunde, 2013; Der Herr aus Glas, 2015; Das Blaue Buch, herausgegeben von Sven Hanuschek in Zusammenarbeit mit Silke Becker und Ulrich von Bülow, 2018, zuletzt Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons, 2023, Atrium), der Briefe Elias Canettis (Ich erwarte von Ihnen viel, aus dem Nachlass herausgegeben von Sven Hanuschek und Kristian Wachinger, 2018, Hanser). Sven Hanuschek ist Mitherausgeber u. a. von treibhaus. Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre (2007ff.) und neoAvantgarden (2011ff.), beide in der edition text + kritik. Er ist Mitglied des PEN-Zentrum Deutschland e. V. und seit 2017 ordentliches Mitglied der Abteilung Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Michael Bastian Weiß (*1974 in Deggendorf) ist Komponist und Philosoph. Er arbeitet mit Persönlichkeiten wie u. a. Andreas Skouras, Thomas Albertus Irnberger, Peter Sadlo †, dem Ensemble Schwerpunkt, den Schlagwerkern Augsburg, Martin Hannus und Christian Gerhaher zusammen. Weiß studierte Komposition inklusive der Meisterklasse bei Prof. Hans-Jürgen von Bose an der Hochschule für Musik und Theater München. Seit Herbst ist er am dortigen Institut für künstlerische Gesangs- und Theaterausbildung als Lehrbeauftragter für Poetik und Ästhetik (Master Liedgestaltung/Konzertgesang) tätig. Außerdem promovierte er bei Prof. Günter Zöller in Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er sich auch habilitierte und seit 2005 Klassische deutsche Philosophie von Immanuel Kant über Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel bis Theodor W. Adorno lehrt. Neben zwei Büchern („Der Autor als Individuum“ über Ästhetik und Autortheorie des 18. Jahrhunderts und „Leben als Leben“ über die späte Transzendentalphilosophie Johann Gottlieb Fichtes) sowie zahlreichen Aufsätzen schrieb er Orchestermusik, für instrumentale und vokale Kammerbesetzungen sowie für das Musiktheater. Seine Debüt-CD mit Werken für Klavier und Cembalo wurde von Zeit Online als eines der „Besten Alben des Jahres“ geführt. Michael Bastian Weiß war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, erhielt das Stipendium für Musik der Landeshauptstadt München, den Kulturförderpreis der Stadt Deggendorf sowie Kompositionsaufträge von der Stiftung les muséiques Basel, dem aDevantgarde-Festival München, der Ernst von Siemens Musikstiftung, den Konzertfreunden Straubing u. v. a.
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