„Ta panta rhei“: Die dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschriebene Formel thematisiert das Fließen und den Wandel allen Seins. Mit dem Fließen kennt sich der auf einer Insel geborene und aufgewachsene Minas Borboudakis gut aus. Seit 2001 hat er sich ein knappes Jahrzehnt lang von dem heraklitischen Satz zu einem Zyklus unterschiedlich besetzter Musikstücke inspirieren lassen – drei davon werden an diesem Abend zu hören sein, neben einem weiteren, jüngeren Werk. Der starke Bezug zu Griechenland im Schaffen von Borboudakis fällt schon anhand vieler seiner Werktitel auf. Folklorismen sind in der Musik des Münchner Komponisten mit griechischen Wurzeln dennoch nicht zu erwarten, weder klanglich noch ideell. Sein Interesse an der griechischen Antike und an der Kultur dieses Landes gilt den grundsätzlichen Prinzipien und Werten des Menschseins, die sich darin äußern. Das verleiht seinen Werken eine universelle Dimension – eine Qualität, die gerade unsere Zeit mehr denn je dringend braucht. M. F.
Programm:
Minas Borboudakis (*1974)
ROAI I (2002)
für Klaviertrio
Nina Takai, Violine
Katerina Giannitsioti, Violoncello
Jean-Pierre Collot, Klavier
Michaela Fridrich im Gespräch mit Minas Borboudakis
ROAI II (2005)
für Violoncello und Klavier
Katerina Giannitsioti, Violoncello
Jean-Pierre Collot, Klavier
ROAI III [Dataflow] (2008)
für Klavier, synthetische und elektroakustische Klänge
Jean-Pierre Collot, Klavier
Michaela Fridrich im Gespräch mit Minas Borboudakis
cinq cartes postales autobiographiques (2023)
für Streichtrio
Prise • Brise • Krise • Wiese (Brise 2) • Kreise(l)
TrioCoriolis:
Thomas Hofer, Violine
Klaus-Peter Werani, Viola
Hanno Simons, Violoncello
© Autograph des Komponisten,
Skizze zu: »cinq cartes postales autobiographiques« für Streichtrio (2023) von Minas Borboudakis
Minas Borboudakis (*1974) ist in Heraklion auf Kreta geboren, seit 1992 lebt er in Deutschland. In München und Hamburg studierte er Klavier und Komposition. Er ist u. a. mit dem Rodion Schtschedrin Kammermusikpreis, dem Preis der Christoph und Stephan Kaske Stiftung und dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet worden. In seinen Kompositionen setzt er sich mit philosophischen und kosmologischen Fragen auseinander – für ihn ist das Komponieren ein Weg, das Leben durch Musik zu verstehen und wiederzugeben. Sein Musikidiom bewegt sich zwischen Emotion und Intellekt, Poetik und Realismus. Seine Musiksprache zeichnet sich durch Impulsivität, Mikrotonalität, reiche Klangfarben und expressive Gesten aus. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen große Zyklen wie ROAI I-V, eine Auseinandersetzung mit dem Fließen nach dem heraklitischen Satz „Panta rhei“, oder Cycloids I-III für Tasteninstrumente über die Frage des Kreisens und der ständig mutierenden Wiederholung. Neben Solo-, Kammermusik- und Orchesterwerken spielen Musiktheaterwerke eine zentrale Rolle, etwa liebe.nur liebe (2007, Bayerische Staatsoper), Enheduanna (2015, The Glasgow School of Arts) oder Z (2018, Nationaloper Athen). Sein Werk für Orchester sparks, waves and horizons (2021), Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks, wurde im Februar 2024 vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Duncan Ward in München uraufgeführt.
Die Musik von Borboudakis wird in den führenden europäischen Konzerthäusern wie der Berliner Philharmonie oder dem Southbank Centre in London sowie bei großen Festivals wie den Bregenzer Festspielen gespielt. Zu den Interpreten seiner Musik gehören u. a. das Tonhalle-Orchester Zürich, das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, die Wiener Symphoniker, das Bayerische Staatsorchester und das Ensemble Modern, außerdem Künstler wie Zubin Mehta, Kent Nagano, Jonathan Nott, Juraj Valčuha, Constantinos Carydis und Enrique Mazzola. Borboudakis konzertiert auch regelmäßig als Pianist und Dirigent. Als Dozent und Musikvermittler entwickelt er mit diversen Institutionen Projekte für junge Kreative. Durch seine langjährige Mitwirkung im Vorstand hat er das Profil der Münchner Gesellschaft für Neue Musik geprägt. Minas Borboudakis ist seit 2022 ordentliches Mitglied der Abteilung Musik der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Jean-Pierre Collot, geboren in Metz in einer Künstlerfamilie, studierte Klavier und Klavierbegleitung bei Jean-Claude Pennetier, Christian Ivaldi und dem Schüler von Olivier Messiaen Jean Koerner am Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris. Meisterklassen bei Yevgeni Malinin, Rudolf Kehrer und Elena Varvarova. Von 2003 bis 2017 war er Mitglied im Freiburger ensemble recherche. Als Solist trat er mit bedeutenden Orchestern und Ensembles auf, darunter unter der Leitung von Pierre Boulez, Vladimir Jurowski, Kent Nagano, Emilio Pomàrico, Peter Rundel, Michael Wendeberg. Rege Konzerttätigkeit in Europa, Japan, China und den USA sowie zahlreiche CD-Veröffentlichungen – darunter Werke von Arnold Schönberg, Stefan Wolpe, Erich Itor Kahn, Karlheinz Stockhausen, Hans-Werner Henze, Brian Ferneyhough, Hugues Dufourt, Wolfgang Rihm, Hans Abrahamsen, Brice Pauset und Hector Parra. 2016 erschien beim Münchner Plattenlabel Winter & Winter seine CD Universe mit Werken von Salvatore Sciarrino und Claude Debussy. 2019 folgte Espaces Imaginaires (Jean Barraqués Klavierwerk) und 2020 Spectral Visions of Goethe mit Werken von Hugues Dufourt und Schubert/Liszt. Sein letztes CD-Album Marche fatale mit Werken von Helmut Lachenmann und Beethoven/Liszt (Symphonie Pastorale) wurde 2023 mit dem Choc de Classica der französischen Musikzeitschrift Classica ausgezeichnet. 2022 bekam das von ihm übersetzte und kommentierte Buch Maria Youdina - Pierre Souvtchinsky: Correspondance et documents (1959-1970) (Editions Contrechamps, Genf, 2020) den Prix du Livre France Musique-Claude Samuel 2021. Im Herbst 2024 werden auf französisch seine Übersetzungen des beinahe gesamten literarischen Nachlasses Arnold Schönbergs im Rahmen einer Koproduktion zwischen Éditions de la Philharmonie de Paris und Éditions Contrechamps erscheinen. Jean-Pierre Collot lebt in München.
In Prag geboren und aufgewachsen, lebt und arbeitet Michaela Fridrich als freie Musikjournalistin und Autorin in München. Sie gestaltet Sendungen und Moderationen u. a. für den Bayerischen Rundfunk zu Themen der Klassischen Musik. Als Autorin beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit Neuer Musik, Musikvermittlung und mit der Kultur Osteuropas und Österreichs. Zu diesen Themen hat sie Texte für verschiedene Zeitschriften sowie Bücher in der edition text + kritik veröffentlicht. Sie moderiert Konzerteinführungen für die Münchner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und für die musica viva-Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks. Darüber hinaus arbeitet sie mit verschiedenen Bildungseinrichtungen zusammen, wie der Hochschule für Musik und Theater München, der Münchner Volkshochschule oder der Georg-von-Vollmar-Akademie Kochel. Für die Georg-von-Vollmar-Akademie gestaltet sie unter anderem den monatlichen kulturpolitischen Podcast Kocheler ZwischenTon. Im Rahmen der Sendereihe für Neue Musik Horizonte veröffentlichte sie im April 2024 auf BR-KLASSIK ein Audio-Porträt anlässlich des 50. Geburtstags des Komponisten Minas Borboudakis.
Ein breiter künstlerischer Horizont zeichnet die aus Griechenland stammende Cellistin Katerina Giannitsioti aus: Sie spannt einen weiten Bogen von historischer Aufführungspraxis bis hin zu zeitgenössischer Musik. Katerina Giannitsioti studierte an der Hochschule für Musik und Theater München Cello bei Prof. Walter Nothas und Prof. Wen-Sinn Yang sowie Barockcello bei Prof. Kristin von der Goltz. Beides schloss sie mit einem Master ab, begleitet von einem Studium der Musikwissenschaften in Athen. Katerina Giannitsioti ist Gründungsmitglied des Ensembles für zeitgenössische Musik der/gelbe/klang. Sie arbeitet mit Komponistinnen und Komponisten wie Jörg Widmann, Minas Borboudakis, Marc Andre und Christina Athinodorou zusammen. Darüber hinaus spielt sie seit vielen Jahren bei der Festspiel-Werkstatt der Bayerischen Staatsoper und der Münchener Biennale. Als Kammermusikerin ist sie bei diversen Festivals wie dem Athens Epidaurus Festival, dem Internationalen Brucknerfest Linz, dem Anima Mundi Festival (Pisa), den Magdeburger Telemann-Festtagen, dem Kammermusik-Festival Stöde Musikvecka (Schweden), dem Portocheli International Festival for Art & Culture (Griechenland) oder bei Music at Paxton Festival (Schottland) aufgetreten. Zu ihren Kammermusikpartnern gehören u. a. der Violinist David Schulheiß, der Oboist Ramón Ortega und der Klarinettist Georg Arzberger. Ein Kammermusikalbum mit Werken des Komponisten Michael Quell zusammen mit dem Ensemble der/gelbe/ Klang ist beim Label NEOS erschienen. Auf der CD Zeit und Ewigkeit, veröffentlicht beim Label FARAO classics, ist sie zusammen mit dem Bratschisten Kelvin Hawthorne und dem Audi Jugendchor unter der Leitung von Martin Steidler zu hören.
Nina Takai, geb. Zedler, studierte Violine mit Abschluss Konzertexamen in Frankfurt, Lübeck und Luzern bei Walter Forchert, Sebastian Hamann und Priya Mitchell. Auf Meisterkursen erhielt sie zudem Kammermusikunterricht bei Mitgliedern des Alban Berg-, Artemis-, LaSalle- und des Vermeer Quartetts. Bereits in ihrer Jugend war sie Mitglied im Landes- und Bundesjugendorchester, im European Union Youth Orchestra (EUYO), der Internationalen Bachakademie Stuttgart, der Jungen Deutschen Philharmonie und dem Lucerne Festival Academy Orchestra. Während ihres Studiums absolvierte sie ein Orchesterpraktikum im Frankfurter Opern- und Museumsorchester. 2004 erhielt sie ein Stipendium der Kulturstiftung des Bundes für einen einjährigen Aufenthalt in der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA). 2006 gewann sie den ersten Preis beim Pirazzi-Wettbewerb für Streicher und 2008 einen Sonderpreis in der Kategorie Kammermusik beim Wettbewerb der deutschen Musikhochschulen. Als Solistin spielte sie mit Orchestern wie dem Orchestra of the National Opera House of China, dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester, der Polnischen Kammerphilharmonie, dem Orchester der Musikhochschule Frankfurt und der Camerata Academica Freiburg. Institutionen wie das Ensemble Modern, die Münchner Kammerspiele und die Bayerische Staatsoper engagierten sie als Ensemble- und Bühnenmusikerin. Seit 2008 ist sie Violinistin im Münchener Kammerorchester und seit 2021 Ensemblemitglied des Ensembles für zeitgenössische Musik der/gelbe/klang.
Seit 20 Jahren ist das TrioCoriolis international auf den Konzertpodien, auf Festivals, im Rundfunk und durch CD-Produktionen präsent. Seit 2017 konzertiert es in der Besetzung mit Thomas Hofer (Violine), Klaus-Peter Werani (Viola) und Hanno Simons (Violoncello). Während dieser intensiven Zeit gemeinsamen Musizierens hat das TrioCoriolis gut 50 Werke einstudiert und aufgeführt. Bis 2012 war Michaela Buchholz, dann bis 2017 Heather Cottrell Violinistin im TrioCoriolis. Die Corioliskraft ist Bild für die Summe der Energie, welche den drei verschiedenen Perspektiven der Musiker inne wohnt. Das TrioCoriolis ist bekannt für eine besondere Balance aus individuellem Ausdruck und gemeinsamer Interpretation. Besonders in der durchhörbaren Gattung des Streichtrios ist die Bewegung in diesem Spannungsfeld möglich. Sowohl jeder einzelne Musiker als auch das Trio gemeinsam haben einen besonderen Bezug sowohl zu alter als auch zu neuester Musik. Diese ästhetische Vielfalt prägt das TrioCoriolis und seine Mitglieder seit ihren Studien und in der weiteren Konzerttätigkeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Pellegrini-Quartett (Thomas Hofer 1990-2014), dem Ensemble MusikFabrik, dem Ensemble Modern, Ensemble Triolog u. v. a. Für das TrioCoriolis wurden zahlreiche Werke geschrieben, die es auch in seinen eigenen Reihen HörBlicke21 und Kollektivitäten in München uraufgeführt hat (z. B. Wolfgang von Schweinitz, Nikolaus Brass, Iris ter Schiphorst, Minas Borboudakis, Alexander Strauch, Samy Moussa, Atac Sezer und KP Werani). Das TrioCoriolis erweitert seine Besetzung regelmäßig durch Kolleginnen und Kollegen wie Christoph Grund (Klavier), Stefan Schilli (Oboe), Phillippe Boucly (Flöte), Muriel Cantoreggi (Violine), wodurch die Möglichkeiten des Repertoires sich exponentiell vervielfachen. Immer wieder jedoch kehrt das TrioCoriolis zu seiner Stammbesetzung zurück: Hier erproben und finden sich die Gestaltungskräfte von Thomas Hofer, Klaus-Peter Werani und Hanno Simons im Wechselspiel der Transparenz, welches für Idee und Klang des TrioCoriolis die bestimmende Kraft bildet.
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass unser Platzangebot begrenzt ist. Daher werden eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung am Haupteingang der Residenz, Max-Joseph-Platz 3, Platzkarten vergeben.