Unsere Welt trennt Kunst und Wissenschaft, sie trennt auch Geistes- und Naturwissenschaft und gibt den »strengen« Wissenschaftszweigen Vorrang. Es fehlt auch nicht an denjenigen, die die Geisteswissenschaften abschaffen wollen. Strenge Wissenschaft und die Welt der Vorstellungen (altmodisch: der »Ideen«) wollen nicht kontaminiert werden, obwohl genau dies überall und jederzeit – »unkontrolliert«, weil man die Geisteswissenschaften verschmäht – geschieht.
Was tun Architekten, wenn sie bauen und der Geschichte nachforschen? Es will nicht passen zu derlei (künstlicher) Auftrennung und Zerlegung von Wirklichkeit. Umgekehrt, die großartige Chance, in der Architektur die Überlappungen, die Komplexität, den Kontext als besondere, mit einer riesigen Erfahrung verbundene, gelebte Tradition zu erkennen, böte sich jederzeit neu als Verbindung an. Es würde die in jüngerer Zeit ohnehin arg reduzierte Architekturkritik, eine wirklich auf die Architektur ausgerichtete Theorie und ganz besonders die Wertschätzung der historischen Arbeit endlich wieder neu beleben. Und, was noch viel wichtiger ist: Sie würde in der Architektur die Vernetzungen und Synthesen noch weit über Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (den privilegierten MINT-Fächern) hinaus in die gesellschaftlichen, in die echt »humanistischen« Dimensionen hineinführen und gegen einseitiges Spezialistentum dem Anspruch dieser gesellschaftlich fundamentalen Beziehung von allem und jedem mit dem Menschen ganz im Sinne von Kants »zum Gebrauch für die Welt« genügen, weil der Mensch »sein eigener letzter Zweck ist«; uneingeschränkt und ganz, was Goethe festhalten ließ, dass die Wissenschaft, sollte sie zur Ganzheit streben, Kunst werden müsse. W. Oe.
© Martin Linsi,
Werner Oechslin
Werner Oechslin, geboren 1944, studierte Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie und Mathematik in Zürich und Rom, lehrte am MIT, an der FU Berlin, in Bonn, in Harvard, in Shanghai und an der ETH Zürich, wo er von 1986 bis 2006 das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur neu aufbaute und leitete. Er ist Gründer der Bibliothek Werner Oechslin (www.bibliothek-oechslin.ch) in Einsiedeln.
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