Wie schön könnte es sein: »Gottes ist der Orient! / Gottes ist der Okzident! / Nord- und südliches Gelände / Ruht im Frieden seiner Hände.« Navid Kermani zitiert Goethes Verse in seinem Buch Zwischen Koran und Kafka, doch er macht sich keine Illusionen. Als Essayist hat sich der 1967 in Siegen geborene Autor aus iranischer Familie tiefgreifend nicht nur mit europäischer wie orientalischer Literatur beschäftigt, sondern auch mit den politischen und ideologischen Konflikten, die uns heute mehr erschüttern denn je. Doch zugleich beobachtet er als Erzähler unsere ebenso betörend-unübersichtliche Gegenwart: Seine Romane zeichnen sich aus durch Sprachkraft, literarische Reflexion und durch ein kunstvolles Spiel mit der eigenen Biographie. Das gilt für Dein Name, Große Liebe und in besonderem Maße für den zuletzt erschienenen Roman Das Alphabet bis S, der ein einziges Jahr in 365 Einzelmomenten erzählt: Eine Schriftstellerin auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs und zugleich am Tiefpunkt ihres Lebens; die Ehe gescheitert, die Mutter gestorben, und plötzlich ist auch der Lebensentwurf als öffentliche Intellektuelle in Frage gestellt.
Für sein erzählerisches und essayistisches Werk, »das mit analytischer Brillanz und mitfühlender Anteilnahme Zeitgenossenschaft auf eine Ebene gehoben hat, die in der Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht«, verleihen die Hansestadt Lübeck und die Bayerische Akademie der Schönen Künste am 27. September 2024 Kermani in Lübeck den Thomas-Mann-Preis. Heute Abend stellt sich ein Autor in München vor, der wie wenige andere Thomas Manns vielfaches Engagement verkörpert: als engagierter Kommentator, gelehrter Essayist, brillanter Romancier. W. M.
Karten für die Veranstaltung können nur am Dienstag, 28.5., ab 10 Uhr telefonisch unter
089/29 00 77-118 reserviert werden. Nicht eingenommene Plätze werden am 3.6. ab 18.45 Uhr freigegeben.